Spielzeug raus, Fantasie rein – spielzeugfreie Zeit lässt Kinder aufblühen

Wir als Kindergarten haben uns für die Fastenzeit ein besonderes Projekt überlegt. Die Fastenzeit sollte als spielzeugfreie Zeit genutzt werden.

Anlass dazu waren die vorherigen Beobachtungen der Kinder. Durch das Verhalten der Kinder wurde bewusst, wie selbstverständlich Materialien und Spielzeuge wahrgenommen werden und dass ein Konsumverhalten entstanden ist. Vorgegebenes Spielzeug gibt zudem wenig Anreize, die eigene Fantasie und Kreativität zu nutzen. Unter Grundlage dieser Beobachtungen entschied sich das Team des Kindergartens St. Marien für eine spielzeugfreie Zeit. Die Fastenzeit, als Zeit, um auf etwas zu verzichten, schien für dieses Projekt passend zu sein.

An einem Bildungstag im Januar befasste sich das pädagogische Team des Kindergartens intensiv mit dem geplanten Projekt. Gemeinsam wurde diskutiert, was Spielzeug ist und was stattdessen Spielmaterialien sind. Zudem überlegte das Team gemeinsam, welche Ziele mit diesem Projekt erreicht werden.  Schnell war klar, dass in dieser Zeit nicht nur die Kreativität der Kinder, sondern auch ihr logisches Denken, Entwicklung von Handlungsstrategien und die Neugierde gefördert werden. Durch die Entwicklung neuer Spielideen treffen die Kinder viele Absprachen untereinander. Sie fördern dabei ganz unbewusst ihre Sprache, wie auch die sozialen Kompetenzen und neue Gruppendynamiken können entstehen.

Zwei Wochen vor Beginn der Fastenzeit wurden die Kinder auf diese besondere Zeit vorbereitet, indem das Spielzeug den Kindern Nachrichten schickte. Zum Ende fand ein Theaterstück zum Thema „Das Spielzeug macht Urlaub“ statt. Dann war es soweit und die Kinder packten mit den ErzieherInnen das gesamte Spielzeug ein. Vom Bobby Car bis zum Legostein, von der Puppenecke bis zu den Gesellschaftsspielen. An Aschermittwoch fuhr das gesamte Kindergartenspielzeug dann mit dem LKW in den Urlaub. Das Einzige, was in den Gruppen blieb, waren die Möbel, wie Tische, Stühle und Schränke, Kissen und Decken.

Langeweile auszuhalten gehört durchaus zu dem Projekt. Die Kinder dürfen lernen aus der Unzufriedenheit heraus selbstständig Lösungen zu entwickeln und nicht durch Ersatzangebote abgelenkt zu werden. Dies können die Kinder jedoch nicht lernen, wenn Erwachsene bei jedem Anzeichen von Langeweile bei Kindern direkt mit Unterhaltungs- und Spielangeboten eingreifen. Muße und Zeit zum Nichts-tun sind notwendige Pausen. Die ErzieherInnen möchten den Kindern mit diesem Projekt die Möglichkeit geben diese lebenswichtige Erfahrung zu machen.

Für die ErzieherIn bedeutet es, sich zurückzunehmen, die Kinder zu beobachten, zu unterstützen und ein guter Wegbegleiter zu sein. Wichtig ist es den Kindern ein offenes Ohr für ihre Themen und Anliegen zu geben. Zudem führen sie mit den Kindern Gespräche, um Erfahrungen auszutauschen, zu reflektieren und Ideen aufzugreifen. Auch die Reflektion und Absprachen im Team und mit den Eltern hat eine wichtige Rolle eingenommen.

Die Eltern des Kindergartens St. Marien wurden bereits vor dem Beginn des Projektes mit einem Informationsnachmittag und Elternbriefen über die Pläne informiert. Über digitale Bilderrahmen und Wochenrückblicke haben Eltern die Möglichkeit sich selbst einen Einblick zu verschaffen. Rückmeldungen der Eltern durch Reflektionsbögen und Tür- und Angelgespräche werden aktiv einbezogen.

Nun macht das Spielzeug aus dem Kindergarten bereits seit sechs Wochen Urlaub. Wie verbringen die Kinder diese spielzeugfreie Zeit im Kindergarten? Nachdem den Kindern bewusst geworden ist, dass das Spielzeug wirklich in den Urlaub gefahren ist, nutzen die Kinder das, was sie noch im Kindergarten finden. Aus Tischen, Stühlen und Decken entstehen Häuser, Höhlen, Ritterburgen, Fuchsbauten, Züge oder U-Boote. Leere Schränke werden zu Betten und der Gartenschlauch von draußen wird zur Feuerwehrspritze. Schnell haben die Kinder sich alte Kreisspiele gegenseitig beigebracht und selbstständig angeleitet. Die Kinder spielen zudem vermehrt in Rollenspielen. So wird nicht nur Vater, Mutter, Kind gespielt. Im Kindergarten sind ebenso Affen, Dinos, Leoparden, Füchse und Kaninchen unterwegs. Oft schlüpfen die Kinder auch in die Rolle des Postboten und bringen Pakete in der Form von Kissen von Gruppe zu Gruppe. Nach den ersten zwei Wochen sind Holzklötze und Bretter als erstes Material zum Spielen dazu gekommen. Diese wurden dann zu Paketen, Telefonen, Tablets oder Hundefutter umfunktioniert. Manchmal besteht der komplette Flur aus Lava, sodass die Kinder von Insel zu Insel springen, um die Räumlichkeiten wechseln zu können. In Rollenspielen spielen die Kinder alltägliche Situationen nach, wie den Morgenkreis aus dem Kindergarten, Geburtstagsfeiern oder Stammtisch.

Die ErzieherInnen des Kindergartens St. Marien sind begeistert und beobachten, wie viel Kommunikation und Absprache zwischen den Kindern stattfindet und welche Spielkonstellationen entstehen. In den Gesprächen mit den Kindern wird deutlich, dass manche Kinder sich wünschen, dass das Spielzeug gar nicht wiederkommen soll. „Ohne Spielzeug können wir viel besser spielen“. Das Projekt der spielzeugfreien Zeit neigt sich nun dem Ende zu – allen Beteiligten ist deutlich geworden, wie prägend und wertvoll diese Zeit auch als Grundlage für die weitere pädagogische Arbeit war!